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Angststörungen: neue Leitlinie definiert Behandlungsstandards

Angst kann krank machen. Rund 15 Prozent der Bevölkerung erkranken in Deutschland im Verlauf eines Jahres an einer Angststörung. Damit sind Angststörungen die häufigsten psychischen Erkrankungen. Sie nehmen oftmals einen chronischen Verlauf und wirken sich erheblich auf die Lebensqualität der Betroffenen aus. Eine neue, fachdisziplinenübergreifende Behandlungsleitlinie trägt nun dazu bei, die Versorgung von Patienten mit Angststörungen nachhaltig zu verbessern.

Angst vor realen Bedrohungen zu haben, ist sinnvoll. Sie hilft, Gefahren zu erkennen, darauf zu reagieren und uns davor zu schützen. Kommt es jedoch zu übertriebenen, unrealistischen und auch grundlosen Reaktionen – zum Beispiel in Situationen, die gar nicht gefährlich sind – kann eine Angststörung vorliegen. Zu den Angststörungen zählen die Panikstörung (plötzliche Angstanfälle), die generalisierte Angststörung (übertriebene Angst vor alltäglichen Gefahren) und die soziale Phobie (extreme Schüchternheit). Werden Angststörungen nicht erkannt und richtig behandelt, kommt es häufig zu Chronifizierungen, oftmals mit längeren Krankschreibungen und Frühberentungen. Zudem besteht bei Angsterkrankungen ein erhöhtes Risiko für Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen. Sie sind zudem mit einem erhöhten Suizidrisiko verbunden.

Die heute in Berlin von allen wesentlichen beteiligten Fachgesellschaften sowie Patientenvertretern vorgestellte S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“ enthält Empfehlungen für die Diagnostik und Behandlung aller wichtigen Angsterkrankungen bei Erwachsenen. Die Leitlinie entstand in einem sechsjährigen Entwicklungsprozess. Dabei prüfte eine repräsentative Leitliniengruppe die vorhandenen wissenschaftlichen Studien zur Behandlung mit Psychotherapie, Medikamenten und anderen Therapieformen streng auf Evidenz. 20 Fachgesellschaften waren daran beteiligt, darunter auch Patientenvertreter und Selbsthilfeorganisationen. Die neue S3-Leitlinie richtet sich an alle Berufsgruppen, die Patienten mit Angststörungen behandeln. Dazu gehören insbesondere Hausärzte, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie psychologische Psychotherapeuten.

Trotz ihrer Häufigkeit werden Angststörungen heute in knapp der Hälfte der Fälle nicht erkannt und infolgedessen nicht fachgerecht behandelt. Deshalb will die neue S3-Leitlinie durch die Entwicklung transparenter und nachvollziehbarer Standards die Erkennung und Behandlung von Angststörungen für die verschiedenen Versorgungsebenen verbessern.

Die Leitlinie empfiehlt, Patienten mit Angststörungen eine Psychotherapie und/oder Pharmakotherapie anzubieten. Dabei soll der Wunsch des informierten Patienten berücksichtigt werden. Eine wichtige Rolle im Informationsgespräch müssen daher insbesondere der Wirkeintritt, die Nachhaltigkeit, die unerwünschte Wirkungen und die Verfügbarkeit spielen. Dipl.-Psych. Jürgen Matzat von der Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (DAG SHG) betont: „Aus Patientensicht kann man nur begrüßen, dass nun der aktuelle Stand der Erkenntnis zusammengetragen ist. Wir hoffen, dass die Behandler die Leitlinie zur Kenntnis nehmen und ihre Praxis daran orientieren. Besonders am Herzen liegt uns die Wahlfreiheit und die gemeinsame Entscheidung von Patient und Behandler über die Therapie, die zur Anwendung kommen soll.“

Psychotherapeutisch empfiehlt die S3-Leitlinie bei allen Angststörungen die kognitive Verhaltenstherapie, deren Wirksamkeit zahlreiche kontrollierte Studien nachweisen konnten. Sie wird – z. B. bei Panikstörung oder der Angst vor bestimmten Orten, Plätzen oder Reisen (Agoraphobie) – mit angeleiteten Expositionen mit angstauslösenden Situationen kombiniert. In den letzten Jahren gibt es zunehmend auch Studien, welche die Wirksamkeit psychodynamischer Therapien bei der Panikstörung, der generalisierten Angststörung und der sozialen Phobie belegen. Univ-Professor Manfred E. Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und Mitglied der Steuerungsgruppe, erläutert: „Wir empfehlen in der S3-Leitlinie eine psychodynamische Psychotherapie, wenn sich eine kognitive Verhaltenstherapie nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist, oder wenn dies der informierte Patient wünscht.“ Als ergänzende Maßnahmen raten die Experten zur Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, bei der Panikstörung auch zu Sport (Ausdauertraining).

Wegen ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit empfiehlt die S3-Leitlinie zur pharmakologischen Therapie von Angststörungen in erster Linie Medikamente wie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRIs). Professor Borwin Bandelow, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen und Mitglied der Steuerungsgruppe, erläutert: „In zweiter Linie können Mittel wie trizyklische Antidepressiva oder Pregabalin verordnet werden. Von der Anwendung der Benzodiazepine, die derzeit noch sehr häufig bei Angsterkrankungen verordnet werden, wird wegen der Möglichkeit einer Abhängigkeitsentwicklung abgeraten.“

In Fällen, in denen eine Psychotherapie oder eine pharmakologische Behandlung nicht ausreichend wirksam war, soll die jeweils andere Therapieform oder eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie angeboten werden.

Die S3-Leitlinie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), des Deutschen Fachverbands für Verhaltenstherapie (DVT), der Gesellschaft für Angstforschung (GAF), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (DAG SHG) sowie weiteren Fachgesellschaften, Patientenvertretern und Selbsthilfeorganisationen.

Weitere Informationen:Hintergrundinformationen

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Authors: Universitätsmedizin Mainz

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